Vor drei Jahren hätte sich niemand vorstellen können, dass wir heute unser Auto zwei Wochen nicht nutzen können, weil das Ersatzteil nicht verfügbar ist. Niemand hätte gedacht, dass in Zeiten der Digitalisierung Regale in Lebensmittelgeschäften leer sind. Die Logistik ist mit großen Schritten vorgelaufen und brachte kontinuierliche Verbesserungen in Lieferketten, Produktionen, Läger, Einkauf und Unternehmen insgesamt. Nun stellen wir nüchtern fest, gereicht hat es nicht. Es stellt sich die Frage, wie muss das aktuelle und zukünftige Supply Chain Management aussehen, damit wir die Fülle an Herausforderungen meistern können und Supply Chains über die notwendige Resilience verfügen?

Wir müssen Lieferketten als Chance begreifen. In manchen Unternehmen brachen erstmals seit dem zweiten Weltkrieg die Lieferketten aufgrund von Engpässen, verursacht durch die Pandemie, zusammen. Höchste Zeit Lieferantenbeziehungen und Transitzeiten zu analysieren und neu zu bewerten. Lieferketten müssen agiler und resilienter aufgestellt werden. Dabei kann die Plattformökonomie helfen. Fällt ein Zulieferer aufgrund eines hohes Krankheitsstand aus oder steht die Produktion, weil Materialen fehlen, kann über Plattformen auf anderer Netzwerkpartner zurückgegriffen werden.

Nicht nur das Netzwerk, sondern auch die internen Strukturen müssen neu aufgestellt werden. Es braucht agile Ansätze für die Planung eigener Ressourcen und Produktionskapazitäten. Mit an erster Stelle steht damit auch die Abschaffung von System-Silos. Die IT-Strukturen in Unternehmen sind über Jahre gewachsen, einzelne Systeme sind nicht kompatibel und dadurch gehen wichtige Informationen für die Planung verloren. Systeme mit Echtzeitdatenerfassung, Simulation und Data Science Ansätze können helfen, genauso wie ein Digitaler Zwilling. Durch Prognosen und Forecastings können aktuelle Entwicklungen in die Planung mit einbezogen und konkrete Auswirkungen auf Ressourcen, Kapazitäten und Beschaffung aufgezeigt werden.

Nicht nur die aktuellen Entwicklungen im Bereich Nachhaltigkeit, sondern auch das neue Lieferkettengesetz zwingen uns zum Handeln. Dabei spielen die Transparenz und die lückenlose Rückverfolgbarkeit über die gesamte Supply Chain eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung neuer und nachhaltiger Strategien. Wir sollten diese Themen also weniger als Zwang verstehen, sondern viel mehr als notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Zukunft. Nachhaltigkeit ist eben viel mehr als sozialer oder gesellschaftlicher Druck, es ist eine Strategie, die im Kern zu mehr Effizienz und Effektivität, Produktivität und Qualität führt. Die Umsetzung von Nachhaltigkeit ist ein Instrument zur gemeinsamen Bekämpfung sozialer und ökologischer Herausforderungen sowie zur Verbesserung des wirtschaftlichen Status. Die Themen Nachhaltigkeit, Dekarbonisierung und Social Compliance werden von zentraler Bedeutung für die Wirtschaft. Das spiegelt sich nicht nur im Trend hin zu E-Fahrzeugen und Lkw mit Wasserstoffantrieb, auch Strategien zur Kreislaufwirtschaft gewinnen an Bedeutung.

All das und vieles mehr sind Themenbereiche eines neuen Supply Chain Management, das wir gemeinsam im Sinne von Open Innovation weiter entwickeln müssen. Der beste Partner für das „neue“ Supply Chain Management und für Nachhaltigkeit ist die Digitalisierung. Wir halten all die notwendigen Technologien in unseren Händen und müssen sie nun miteinander, mit geeigneten Managementansätzen und Geschäftsmodellen kombinieren, um den aktuellen und zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden. Nicht zuletzt müssen wir alle auch den notwendigen Entwicklungsschritt hin zu einem echten Supply Chain Risk Management gehen.

Prof. Michael Henke ist Sprecher des Vorstandes der GSofLog, Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmenslogistik an der TU Dortmund und Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik. Im GSofLog-Blog erklärt er uns, warum wir ein neues Supply Chain Management brauchen.