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Erfahrungsbericht

Erfahrungsbericht: Promovieren während der SARS-CoV2 Pandemie

Philipp Weber. Das erstmalig in der chinesischen Stadt Wuhan aufgetretene Virus SARS-CoV2 hat am 27.01.2020 Deutschland erreicht. Der erste Infizierte stammt aus dem Landkreis Starnberg in Bayern. Zum damaligen Zeitpunkt wurde das Risiko einer Ausbreitung des Virus in Deutschland vom Bundesgesundheitsminister Jens Spahn noch als gering eingestuft. Die starke Ausbreitung in Italien änderte die politische Tonlage und so passte er seine Einschätzung an, dass die Gefahr der Ausbreitung in Deutschland nun doch real und wahrscheinlich sei. Typisch für exponentielles Wachstum sind die Fallzahlen zu Beginn nur in geringen absoluten Zahlen gewachsen, um schließlich explosionsartig anzusteigen. Am 20.03.2020 ist das Virus bei mir im Umfeld angekommen, ein Arbeitskollege wurde positiv auf das Coronavirus getestet. Er war im Skiurlaub in Tirol und wurde vom Gesundheitsamt aufgefordert, sich testen zu lassen. Er hatte keinerlei Beschwerden, die Infektion verlief asymptomatisch. Bei mir sah das Ganze leider etwas anders aus. Ich fühlte mich mit grippeähnlichen Symptomen bereits krank, als ich die Nachricht seiner Infektion erhielt. Ich hatte persönlichen Kontakt zu ihm, jedoch keinen trockenen Husten, der zu dem Zeitpunkt als der Hauptindikator für eine Infektion galt. Für mich hat es sich wie eine normale Grippe angefühlt. Nach vierstündiger Wartezeit auf einem abgesperrten Hinterhof eines Krankenhauses mit weißen Zelten sowie Polizei und Feuerwehr-Aufgebot wurde ich schließlich in einem kleinen weißen Bauwagen von einer vollständig von Schutzkleidung vermummten Ärztin untersucht und es wurde der berüchtigte Abstrich gemacht. Die Situation erinnerte mich an einen Endzeit-Katastrophen-Film. Als dann aufgrund starken Windes noch das Zelt über mir wegwehte, in dem ich gerade meinen Patientenschein ausfüllen wollte, war die Authentizität des Erlebnisses perfekt. Da saß ich also plötzlich unter freiem Himmel auf meinem Stuhl. Fiebrig hustend und maskiert, inmitten anderer hustender und maskierter Patienten, umgeben von weiß vermummten Personen. Das hatte schon eine gewisse Dramatik, aber auch Komik. Diesen Tag werde ich jedenfalls so schnell nicht vergessen. Der Test brachte letztlich die Gewissheit, dass auch ich mich mit dem Coronavirus angesteckt hatte. Der Verlauf war jedoch sehr ähnlich zu einer gewöhnlichen Grippe und ist damit als mild einzustufen.

Zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus wurden weitreichende Maßnahmen zur Einschränkung des Grundrechts der individuellen Bewegungsfreiheit erlassen und durchgesetzt. Von diesen Maßnahmen ist das Berufs-, Universitäts- und allgemein das öffentliche Leben massiv betroffen. Plötzlich ist das Homeoffice nicht mehr der Luxus eines modernen und zeitgemäßen Arbeitsgebers, sondern der neue Standard. Mangelnde Hardware-Ausstattung, veraltete Prozesse, unterdimensionierte VPN-Tunnel oder datenschutzrechtliche Bedenken sind nur einige der vielen Probleme, denen sich Unternehmen, Universitäten, Schulen etc. konfrontiert sehen. Die Radikalität der Situation kann jedoch auch als Chance gesehen werden, endlich die vorhandenen Möglichkeiten moderner Technologien auszuschöpfen, um eine flexiblere Gestaltung der individuellen Arbeitsverhältnisse zu ermöglichen. Ein Weckruf zur Digitalisierung.

Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich sowohl seitens meines Fördererunternehmens, der KHS GmbH, als auch von der Graduate School of Logistics bestens für das Homeoffice ausgestattet bin. Bereits vor dem Coronavirus war es bei KHS der Standard, dass viele Meetings online stattfanden. Bei Projektgruppen, deren Mitglieder deutschland- und teilweise auch weltweit verteilt sind, ist dies auch zwingend erforderlich. Neben den technischen Herausforderungen beschäftigt viele Arbeitgeber jedoch weiterhin die Themen, die zuvor bereits Gründe darstellten, dem Homeoffice eher skeptisch gegenüber zu stehen. Sinkt die Produktivität? Leidet die Kommunikation? Welchen Einfluss hat die physische Abwesenheit auf die soziale Komponente in den Abteilungen und Teams? Kann den Arbeitnehmern wirklich vertraut werden, dass sie Zuhause auch arbeiten? Generell bietet das Homeoffice sowohl Vorteile und Chancen als auch Nachteile. Beispielsweise besteht die Gefahr der Ablenkung durch mangelnde Trennung von Privatleben und Beruf, insbesondere wenn es kein gesondertes Arbeitszimmer gibt. Darunter könnte eventuell die Produktivität leiden. Zudem kann dauerhaftes Homeoffice zu Vereinsamung und der Vernachlässigung sozialer Kontakte am Arbeitsplatz führen.

Demgegenüber stehen jedoch auch einige Vorteile. Insbesondere Pendler werden es zu schätzen wissen, dass sie sich die Zeit für den Weg zur Arbeit sparen können. Ein Extremfall ist ein Arbeitskollege bei der KHS, der täglich, je nach Verkehr, bis zu vier Stunden im Auto sitzt. Durch das Homeoffice wird für ihn enorm viel Zeit frei. Doch selbst ein Arbeitsweg von einer halben Stunde summiert sich über eine Woche auf fünf Stunden, die zusätzlich für andere Dinge zur Verfügung stehen. Weiterer Vorteil ist die flexible Arbeitseinteilung und Tagesplanung. Arzttermin um 11 Uhr? Kinder vom Kindergarten abholen? Das ist bei guter Terminplanung mit dem Homeoffice leichter umsetzbar. Diese Selbstbestimmtheit und die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf können auch zu einer gesteigerten Arbeitnehmerzufriedenheit führen. Und ein zufriedener Mitarbeiter ist letztlich auch positiv für das Unternehmen. Etwas über den Tellerrand geschaut, kann das Homeoffice sogar ein Mittel sein, sich selbst besser kennenzulernen. Liege ich lieber auf der Couch, oder habe ich eine intrinsische Motivation mich an den Schreibtisch zu setzen und zu arbeiten? Das verrät einem viel über sich selbst und ob man beruflich bzw. akademisch die Ziele verfolgt, die man wirklich erreichen möchte.

Wichtige Voraussetzung für effizientes und produktives Arbeiten sind jedoch ein fester Arbeitsplatz, im Idealfall ein Arbeitszimmer, und eine gute technische Ausstattung – zumindest für mich. Weiterhin ist der Erfolg des Experiments Homeoffice auch sehr individuell, er steht und fällt mit den richtigen Rahmenbedingungen und der Fähigkeit des Selbstmanagements. Dabei muss sich jeder selbst einschätzen und neutral bewerten können. Aus Sicht der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmern da also zunächst ein Vertrauensvorschuss gewährt werden.

Um den „Gefahren“ des neuen Alltags im Homeoffice zu begegnen und die Vorteile richtig nutzen zu können, war für mich nach ein paar Tagen klar, dass ich Struktur benötige. Trotz aller Flexibilität benötige ich feste Arbeitszeiten bzw. Zeitblöcke und Rahmenbedingungen. Das hat zwei Vorteile: Einerseits führe ich positive Gewohnheiten ein, mich täglich zu festen Zeiten an den Schreibtisch zu setzen und an meiner Dissertation zu arbeiten. Durch Gewohnheiten und Rituale läuft mehr auf Autopilot und ich komme leichter in den Arbeitsmodus, auch wenn ich noch in meinen eigenen vier Wänden bin. Der zweite Vorteil ist, dass man sich auch erlaubt „Feierabend“ zu machen. Zuhause können die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit schnell verschwimmen. Das kann nicht nur negative Auswirkungen auf die Arbeit haben, sondern auch auf die Freizeit. Im Worst Case leidet sogar beides. Wenn das Zuhause gleichzeitig der Arbeitsplatz ist, kann es schwierig sein, einen klaren Schlussstrich für den Tag zu ziehen und sich seinen persönlichen Freizeitaktivitäten zu widmen. Auch dabei helfen mir Struktur und Gewohnheiten. So sieht mein Morgen beispielsweise jeden Tag gleich aus: Aufstehen, Bett machen, Workout und Dehnübungen, duschen, frühstücken, Kaffee machen, Schreibtisch. So profan das klingt, aber mir hilft dieser feste Ablauf am Morgen enorm. Zum Thema Gewohnheiten und ihr Potenzial kann ich übrigens das Buch Atomic Habits von James Clear sehr empfehlen.

Nach anfänglicher Eingewöhnungszeit kann ich behaupten, dass das Homeoffice für mich persönlich funktioniert. Ich genieße die Selbstbestimmtheit und kann keinen Rückgang meiner Produktivität feststellen. Auch der Austausch mit den anderen Stipendiaten ist weiterhin gegeben. Wir treffen uns jeden Freitag online zum SCRUM, um zu besprechen was wir die Woche über erledigt haben und wie der Plan für die kommende Woche aussieht. Der Termin dient weiterhin dazu, sich den Rat der Gruppe einzuholen, wenn man mit bestimmten Problemen alleine nicht weiterkommt. Darüber hinaus werden auch Termine, die sonst physisch stattgefunden haben, digital durchgeführt. Dafür kann beispielshaft unser Doktorandenseminar genannt werden. Das Doktorandenseminar dient einerseits dem Zweck, sich mit Kollegen aus der Wissenschaft auszutauschen und andererseits in einem sicheren Rahmen seine aktuellen Ergebnisse zu präsentieren. Dabei kann man sich Feedback und Denkanstöße einholen und einen eventuell bevorstehenden Vortrag beim Förderer oder Doktorvater proben. Für gewöhnlich findet dieser Termin quartalsweise in einem gebuchten Raum an der Universität statt. Digital wurden daraus nun vier Online-Termine, in dem jeweils ein Doktorand sein Forschungsthema, seine aktuellen Ergebnisse und das weitere Vorgehen präsentiert hat. Dank Softwarelösungen wie ZOOM, ist es kein Problem auch online eine Präsentation zu halten und effektiv zu kommunizieren. Abschließend kann ich feststellen, dass meine Erfahrungen mit dem Homeoffice positiv sind, ich mich jedoch gegen das dauerhafte Homeoffice entscheiden würde. Stattdessen würde ich einen gesunden Mix aus Anwesenheit im Büro und dem Homeoffice bevorzugen. Genau diese Flexibilität ist für mich am Ende das Entscheidende. Möchte ich den sozialen Austausch mit Kollegen oder bei wichtigen Terminen lieber die physische Anwesenheit der Beteiligten, so kann ich ins Büro. Habe ich beispielsweise Aufgaben zu erledigen, die ungestörte Konzentration erfordern, so bevorzuge ich das Homeoffice. Meine Erwartungshaltung ist, dass die aktuelle Zeit mit dem Coronavirus die Art und Weise zu Arbeiten und die Akzeptanz des Homeoffice nachhaltig prägen wird. Die „New Work“, von der schon so lange gesprochen wird, könnte nun tatsächlich auf der Türschwelle stehen – an der GSofLog wird sie schon lange praktiziert und findet nun bald auch Einzug in die Wirtschaft.

Philipp Weber ist Stipendiat in der Graduate School of Logistics und promoviert zum Thema datengetriebene Geschäftsmodelle in Kooperation mit seinem Förderer der KHS GmbH.

In seinem Erfahrungsbericht fasst er zusammen, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf sein Leben hat und wie Promovierenden in dieser außergewöhnlichen Zeit funktionieren kann.

Durch die Erfahrungsberichte bieten die Stipendiaten einen Einblick in den Alltag der GSofLog und teilen Eindrücken, Erfahrungen und Meinungen aus erster Hand.

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