Manche Promovierende treiben es mit dem Perfektionismus auf die Spitze. Sie steigen als Idealist*innen in die Promotion ein und bauen über die Promotionsdauer ihren Perfektionismus aus. Sie wollen nicht nur 100% geben, sondern immer 120 %. Mit der Promotionsdauer steigt auch der Anspruch an sich selbst und die Dissertation. Ambitionen und hohe Ziele sind nicht falsch, nur wird der Perfektionismus schnell zur Bremse. Man selbst wird zur Bremse. Irgendwann ist der Perfektionismus auch nur noch ein Schutzwall, denn eigentlich ist es eine Angst, die uns vom Abgeben, Verteidigen oder Veröffentlichen abhält.
Ganz nüchtern betrachtet, ist Perfektionismus in der Wissenschaft vollkommen falsch aufgehoben. Wissenschaft ist von Natur aus kritisch. Ohne Kritik an wissenschaftlichen Erkenntnissen, entsteht kein wissenschaftlicher Fortschritt. Keine wissenschaftliche Publikation kommt ohne Peer Review aus. Bei drei Reviewern erhält man drei Meinungen und genau so soll es sein. Nur wenn kritisch hinterfragt und kritisch reflektiert wird, entstehen neuen Ansätze. Der Stand der Technik kann morgen bereits ganz anders aussehen und heute kann niemand die Zukunft voraussagen.
Promovierende und Wissenschaftler*innen sollten sich also vom Konkurrenzdenken lösen und die Wissenschaft als Community mit Fair Play sehen. Gemeinsam mit der Community wird die Zukunft entwickelt. Jeder Beitrag, jede Dissertation ist ein Baustein für ein stabiles Gerüst. Andere bauen auf unserem Baustein auf und entwickeln weiter, so wie wir einst mit den Bausteinen anderer ein Fundament für unsere Forschung schafften.
Es kann demnach keine perfekte Dissertation geben. Wir können nach den Prinzipien des guten wissenschaftlichen Arbeitens unsere Ergebnisse generieren, validieren und publizieren. So schaffen wir neues Wissen und leisten einen Beitrag zur Weiterentwicklung unseres Forschungsbereichs. Hangelt euch über die Literaturrecherche, die Identifikation der Forschungslücke, das Aufstellen der Forschungsfragen, das methodische Ausarbeiten der Antworten und ihrer Validierung bis zum Fazit vor und reicht ein. Besser wird es nicht. Und: 100% reichen vollkommen aus.
Anschließend freut euch, wenn Promovierende und Post Docs eure Ergebnisse weiterentwickeln oder widerlegen, denn dafür ist Wissenschaft da. Eure Ergebnisse werden zum Fundament neuer Forschung und genau das macht sie perfekt.