Entscheide dich jetzt, nimmst du die rote oder die blaue Pille? Bist du Fisch oder Fleisch? Wer vor der Entscheidung steht, den Promotionsweg einzuschlagen oder nicht, trifft immer wieder auf die gleichen Artikel und Entscheidungshilfen: Jobchancen, Gehalt, Aufstiegsmöglichkeiten, zwingende Voraussetzung? Grundsätzlich sind das beschriebene Vorgehen und die abzuwägenden Entscheidungen auch nicht falsch. Aber fehlen da nicht die individuellen Interessen? Ist das wirklich eine Entscheidung, die auf der Basis von Fakten getroffen werden kann? Ich glaube: Nein!

Keine Frage, wer eine wissenschaftliche Karriere anstrebt, Professor*in werden oder eine wissenschaftliche Leitungsfunktion übernehmen möchte, kommt an einer Promotion nicht vorbei. Für alle anderen bleibt dann nur noch der Doktor-Titel, um die Job Chancen und das zukünftige Gehalt zu verbessern/zu verschlechtern? – zumindest, wenn wir den standardisierten Bewertungsschemen trauen. Je nachdem aus welchem Feld die Autor*innen kommen, fällt das Resümee für das eine oder das andere besser oder schlechter aus: Wenig Geld, bessere Aufstiegschancen, Fachidiotie aus dem Elfenbeinturm, starre Hierarchie, … Als Experiment brechen wir hier einfach mal aus und nehmen an, rein faktenbasiert lässt sich die Entscheidung für oder gegen eine Promotion nicht treffen, was passiert dann?

Wir müssen uns fragen, was ist Wissenschaft, was ist Forschung und wodurch unterscheiden sie sich zur Praxis?

Ja oder nein? Beides!

Vereinfacht: Wissenschaft schafft neues, relevantes Wissen. Forschung nutzt dieses Wissen, um neue Erkenntnisse zu generieren oder Lösungen zu schaffen und Praxis adaptiert Forschungsergebnisse zur Optimierung/Verbesserung. Dabei gibt es in der Realität gar kein Entweder-oder: Wissenschaft braucht Forschung, Forschung braucht Praxis, Praxis braucht Wissenschaft. Wissenschaftler*innen sind Wegbereiter*innen, während Praktiker*innen das neue Wissen übernehmen und damit den vorgezeichneten Weg beschreiten. Die Prozesse sind iterativ.

Die Frage ist also nicht, ist das eine oder das andere besser, sondern möchte ich Wissen generieren, aus Wissen Lösungen generieren oder Lösungen anwenden? Zunächst das eine und später das andere zu machen, ist kein Hemmnis, sondern ein logischer Schritt im Prozess. Hier und heute kann ich mich zur Promotion entscheiden, weil ich Lust haben ein*e Wegbereiter*in zu sein. Ich möchte eine Forschungslücke identifizieren, neues Wissen generieren, validieren und für den Einsatz in der Praxis Lösungen finden. Und dann: Gehe ich in die Praxis und implementiere als Expert*in die Lösung zur Optimierung.

Wissenschaft (und Forschung) ist also geplantes Handeln bis zur Problemlösung. Dabei werden Methoden kombiniert, neue Mechanismen entwickelt, Unerwartetes entdeckt, Fehlschläge in Kauf genommen und all das neue Wissen mit der Community geteilt. Besser kann uns eine Promotion eigentlich nicht auf eine Zukunft in der Praxis vorbereiten. Wir lernen geplantes Vorgehen, Dokumentation, Lösungsorientierung, Kritikfähigkeit, offene Fehlerkultur, Gemeinschaftssinn und vieles mehr.

Grundsätzlich gilt, Wissenschaft ist nicht gleich Wissenschaft und Unternehmen ist nicht gleich Unternehmen. Es gibt auch Unternehmen oder zumindest Praxisteams, die im Bereich Forschung und Entwicklung verortet sind und gleichsam Wissenschaften, die eher anwendungsorientiert sind. Gerade die Logistik als interdisziplinäre Wissenschaft bietet zahlreiche Möglichkeiten. Logistik verbindet, vernetzt, versorgt und ist das Rückgrat der Wirtschaft. Als „junge“ Wissenschaft wurde ihr der unmittelbare Transfer in die Praxis in die Wiege gelegt. Innovationen entstehen häufig auf Basis praktischer Problemstellungen und findet binnen kurzer Zeit als Lösung ihren Weg aus der Wissenschaft über die Forschung zurück in die Praxis.

Ohne Stempel lebt es sich gut

Braucht es einen Stempel? Heute Wissenschaftler*in morgen Manager*in in einem Unternehmen. Um Manager*in zu werden braucht es keinen Doktortitel, aber wer zunächst kreativ werden möchte und Wissen schaffen möchte, verschlechtert mit dem Dr.-Ing. oder dem Dr. rer. pol. auch nicht die beruflichen Chancen. Am besten sind wir immer dann, wenn wir etwas aus intrinsischer Motivation heraus machen und Leidenschaft mitbringen. Also die Welt ist nicht schwarz-weiß und manchmal ist Spaß wichtiger als Fakten, Fakten, Fakten. Die Entscheidung für oder gegen eine Promotion bestimmt auch nicht den Rest deines Lebens. Wir können Wissenschaftler*innen ohne Promotion und Praktiker*innen mit Promotion sein. Wer Lust auf Wissenschaft und Forschung hat, macht als Doktorand*in erstmal nichts falsch.

Als Nicht-Wissenschaftlerin in der der Welt der Wissenschaft, kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass sich die offene Arbeitsweise der Wissenschaft ganz hervorragend mit der Praktiker*in in mir verbinden lässt. So sieht zumindest meine Spielwiesen in der anwendungsorientierten Forschung aus – als Managerin, als Kommunikatorin, als Praktikerin, als Koordinatorin ziehe ist das Beste aus beiden Welten. Ich bin nicht Fisch noch Fleisch, aber alle Grautöne dazwischen stehen mir sehr gut. Ich habe also gleich beide Pillen geschluckt. Schublade war eben gestern, heute folgen wir unserem Antrieb in eine unbekannte Zukunft. Wir entscheiden selbst, auf welche Weise und mit welcher intrinsischen Motivation wir diese gestalten wollen – aber neues Wissen und Lösungsorientierung können dabei definitiv nicht schaden.