Wer sein Einkaufs- und Beschaffungsmanagement für die digitale Zukunft rüsten möchte, kommt an neuen Technologien und Umstrukturierungen nicht vorbei. Die Kunden, in egal welcher Branche, fordern ein Eingehen auf individuelle Wünsche. In global agierenden Lieferketten kommen zahleiche gesellschaftliche und politische Forderungen hinzu. Neben ökonomischen Aspekten gewinnen auch soziale und ökologische Faktoren an Bedeutung. Dies manifestiert sich beispielsweise im kürzlich verabschiedeten Gesetz über die unternehmerische Sorgfaltspflicht in Lieferketten (Neues Lieferkettengesetz) oder dem Übereinkommen von Paris. Nicht zuletzt hatte und hat die Corona-Pandemie entscheidende Auswirkungen auf das Beschaffungsmanagement. Diese zahlreichen Herausforderungen mit globaler Tragweiter veranlassten viele Unternehmen neue Pfade einzuschlagen und nach neuen, effizienteren Lösungen zu suchen. So auch das Beschaffungsmanagement der thyssenkrupp Materials Services GmbH.
Das Unternehmen verfügt über rund 480 Standorte in mehr als 40 Ländern und ist der größte Materialvertrieb in der westlichen Welt. Mit der Strategie „Materials as a Service“ will sich das Unternehmen vom besten Werkstoffverkäufer zum besten Werkstofflieferanten entwickeln. Schon heute verknüpft es die Versorgung mit Roh- und Werkstoffen mit Dienstleistungen im Supply Chain Management. Um die Kunden jederzeit zuverlässig beliefern zu können, hat thyssenkrupp die eigene Lieferkette über die Jahre hinweg kontinuierlich optimiert, diversifiziert und digitalisiert. Jetzt gilt es einen Schritt weiter zu gehen und die Forschung und Entwicklung im Bereich der Künstlichen Intelligenz im Einkauf voranzutreiben.
„Der Einkauf ist ein crossfunktionaler Bereich. Es müssen essenzielle Aspekte berücksichtigt werden, um einen erfolgreichen Wandel zu vollziehen. Für die Gestaltung integrierter, funktionsübergreifender Prozesse, sind ein gemeinsamer Kooperationswille und eine offene Kommunikation unerlässlich. Anderenfalls fällt es schwerer, ein gemeinsames Verständnis von Prozessen zu erlangen und eine für alle Parteien funktionierende Lösung zu entwickeln“, erklärt Tobias Hegmanns von thyssenkrupp Materials Services. Neben der Beschäftigung von hochqualifiziertem Personal ist der zielgerichtete Einsatz von neuen Tools und Technologien in den Einkaufs- und Beschaffungsprozessen notwendig. Sie ermöglichen eine Vereinfachung operativer Aufgaben, helfen dabei Entscheidungen zu treffen, lassen Prognosen zu und schaffen mehr Raum für ein strategisches Vorgehen. Um eine konkrete Lösung zu entwickeln und in die Praxis zu bringen, setzt das Unternehmen auf Forschung und Entwicklung mit der Graduate School of Logistics (GSofLog) an der TU Dortmund.
Binnen drei Jahren durchleuchtet ein Promovend die Fragestellung des Unternehmens wissenschaftlich und trägt die Ergebnisse Schritt für Schritt in das Team, so findet ein unmittelbarer Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis statt. Dabei arbeiten das Einkaufsteam des Unternehmens und der Promovend eng zusammen. Als externes Mitglied im Team erhält er ein Stipendium von dem Industrieunternehmen. Zusätzlich ist der Stipendiat Mitglied des strukturierten, anwendungsorientierten Promotionsmodells der GSofLog und damit eingebunden in Europas einzigartiges Innovationsökosystem am Wissenschaftsstandort Dortmund.
Aktuell beschäftigt sich Tobias Rösner, der Stipendiat in der GSofLog, mit der Auswahl geeigneter Methoden und Technologien. „Für das Einkaufs- und Beschaffungsmanagement existieren sowohl für operative als auch für strategische Prozesse aussichtsreiche Einsatzmöglichkeiten“, erklärt Tobias Rösner. Aus der technologischen Perspektive geht es darum, steuerungsrelevante Informationen zu generieren und zu verarbeiten. Diesbezüglich können umfassende Prozesse systemseitig und transparent durch Workflow-Management-Systeme abgebildet, Tätigkeiten durch Robotic Process Automation (RPA) automatisiert und Daten durch Anwendungen der künstlichen Intelligenz analysiert werden.
Digitale Technologien können beispielsweise genutzt werden um Ausgaben oder Beschaffungsmärkte zu analysieren, eine Lieferantenstrategie zu definieren, Chatbots relevante Informationen erfragen oder kommunizieren zu lassen, Vertragsvorschläge auf Basis vorhandener Textbausteine zu generieren oder eine Lieferantenbewertung sowie Verhandlungen zu unterstützen. Ebenso liegt ein großes Potenzial in der Prognose von Daten. So können beispielsweise Preisentwicklungen, Risiken oder Bedarfe mit geeigneten Verfahren ermittelt werden. „Wir wollen Angebote mit einer erweiterten zeitlichen Perspektive verhandeln und Entscheidungen mit einer besseren Datengrundlage unterstützen. Welche Kombination von Methoden und Technologien hier zielführend ist, gilt es nun rauszufinden“, beschreibt Rösner das Vorgehen. Er ist aktuell in seinem ersten von drei Jahren Stipendium. Spätestens zum Ende der Laufzeit wird thyssenkrupp ein konkretes Vorgehensmodell und evtl. ein erster Prototyp vorliegen.