Fällt ein Gerät aus, ist das stets ärgerlich. Noch schlimmer wird es, wenn die Reparatur sich über einen längeren Zeitraum hinzieht oder gar nicht möglich ist. Während solche Ausfälle im Konsumgeschäft in erster Linie die Kundenzufriedenheit beeinträchtigen, können sie im B2B-Umfeld schnell erhebliche wirtschaftliche Schäden verursachen. Der Stillstand einer Maschine im produzierenden Gewerbe kann hohe Kosten für das Unternehmen verursachen. Auch in anderen Branchen, wie beispielsweise der Luftfahrt, können fehlende Ersatzteile zu Aircraft on Ground Situationen mit gravierenden wirtschaftlichen Folgen führen. Kunden erwarten daher naturgemäß möglichst geringe Ausfallzeiten ihrer Anlagen, Maschinen und Geräte. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist eine hohe Ersatzteilverfügbarkeit, die durch ein vorausschauendes Ersatzteilmanagement ermöglicht wird.
Aus Lieferantensicht trägt das Ersatzteilmanagement damit einerseits stark zur Kundenzufriedenheit und -bindung bei. Gleichzeitig gewinnt das Geschäft mit After-Sales-Services zunehmend an Bedeutung, da eine zuverlässige Ersatzteilversorgung und hohe Service Level eine klare Differenzierung vom Wettbewerb ermöglichen. Zudem bietet das Ersatzteilgeschäft häufig attraktivere Margen und stabilere Umsätze als das Primärprodukt und trägt damit maßgeblich zur Profitabilität bei. Besonders im produzierenden Gewerbe hat sich der After-Sales-Service als wichtige Säule zur Generierung von Deckungsbeiträgen etabliert.
Andererseits stellt das Ersatzteilmanagement Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Eine große Teilevielfalt, schwer vorhersehbarer Bedarf sowie Produktobsoleszenz – insbesondere in innovationsgetriebenen Branchen mit kurzen Produktlebenszyklen – führen zu hohen Lagerhaltungskosten. Diese schlagen sich in Kapitalbindung, Mietaufwendungen und Personalkosten nieder. Auch vertragliche Verpflichtungen, insbesondere im Bereich langlebiger Investitionsgüter, sowie gesetzliche Vorgaben – wie beispielsweise die Ecodesign-Verordnung der Europäischen Kommission, die unter anderem Vorschriften zur Verfügbarkeit von Ersatzteilen trifft – machen ein strukturiertes Ersatzteilmanagement erforderlich.
Die zentrale Herausforderung besteht darin, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen hoher Verfügbarkeit und wirtschaftlicher Lagerhaltung zu finden. Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist hierbei eine möglichst präzise Bedarfsvorhersage, die – ähnlich wie im Sales and Operations Planning (S&OP) – zahlreiche Folgeprozesse beeinflusst: von der Personal- und Produktionsplanung über Lageraufstockungen bis hin zu Transportvereinbarungen. Die Bedarfsvorhersage bringt die gesamte Supply Chain in Bewegung.
Die Erstellung belastbarer Prognosen ist daher im Ersatzteilmanagement von zentraler Bedeutung, zugleich aber besonders herausfordernd. Während der Bedarf bei Primärprodukten in der Regel gleichmäßig (smooth) verläuft, wird der Ersatzteilbedarf unmittelbar durch den Kunden ausgelöst. Er unterliegt nicht den Anforderungen kontinuierlicher Produktionsprozesse, sondern vielmehr der stochastischen Natur des Ausfallverhaltens von Bauteilen. Daraus ergeben sich für viele Ersatzteile spezielle Verbrauchsmuster: Diese sind häufig durch lange Phasen ohne jegliche Nachfrage sowie durch unregelmäßige, teils stark schwankende Bedarfsspitzen gekennzeichnet. Abhängig von der Länge und Häufigkeit der Null-Bedarfs-Perioden sowie der Variabilität des Bedarfs werden diese Muster als intermittierend, sprunghaft (erratic) oder klumpig (lumpy) bezeichnet.
Klassische Prognosemethoden wie Exponential Smoothingoder Moving Averages stoßen in diesem Umfeld schnell an ihre Grenzen. Für derartige Zeitreihen wurden daher spezialisierte Verfahren entwickelt. Zu den bekanntesten zählen Croston‘s Method sowie die Syntetos-Boylan Approximation. Darüber hinaus gewinnen moderne Ansätze aus dem Bereich Machine Learning und Deep Learning zunehmend an Bedeutung. Insbesondere neuronale Netze, Entscheidungsbäume und hybride Modelle versprechen, die komplexen Zusammenhänge im Ersatzteilbedarf besser zu erfassen und somit die Prognosequalität weiter zu erhöhen.
Die Vorhersage von Ersatzteilbedarfen ist herausfordernd, bildet jedoch die Grundlage für ein vorausschauendes und wirtschaftliches Ersatzteilmanagement. Sie ermöglicht es Unternehmen, sowohl Kosten zu reduzieren als auch neue Umsatzpotenziale im After-Sales-Geschäft zu erschließen. Unternehmen, die es verstehen, moderne Prognoseverfahren gezielt einzusetzen, können sich hier einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil sichern.